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I. Garantiefrist, Garantieschein, verdeckte Mängel

So wie industriell hergestellte Gebrauchsgüter wie Staubsauger, Armbanduhren und Autos «mit Garantie» verkauft werden, so gibt es den Begriff der Garantie auch im Werkvertragsrecht und damit im Bauwesen. Unter der Garantie eines Unternehmers ist die Verpflichtung zu verstehen, Mängel am ausgeführten Werk während der Garantiefrist zu beheben. Bestimmungen zur Garantie und damit zusammenhängende Fragen finden sich in den Artikeln 172 bis 182 der SIA-Norm 118.

Garantiefrist, Rügefrist

Im Bauwesen besteht normalerweise eine Garantiefrist von zwei Jahren (Art. 172 SIA 118), was als recht grosszügig zu betrachten ist. Sie beginnt mit der Abnahme zu laufen, wobei zu beachten ist, dass jedes Werk (Storen, Küche etc.) einen unterschiedlichen Abnahmetermin haben kann. Somit gibt es auch verschiedene Endzeitpunkte der Garantiefrist. Während der Garantiefrist kann die Bauherrschaft Mängel jederzeit rügen (Art. 173 SIA 118). Gegenüber dem Gesetz, das eine sofortige Mängelanzeige fordert (Art. 370 OR), bedeutet dies eine Besserstellung. Eine Ausnahme besteht lediglich bei Mängeln, die weiteren Schaden verursachen können wie etwa ein undichtes Dach. Derartige Mängel sind sofort zu rügen.

Obige Formulierung zur Mängelrüge ist so zu interpretieren, dass (die erwähnte Ausnahme vorbehalten) entdeckte Mängel sofort gerügt werden können, aber nicht müssen. In der Praxis wird meistens nicht sofort gerügt, sondern an zwei bestimmten Zeitpunkten. Eine erste Liste von Mängeln wird bei der Übergabe des fertigen Bauwerks von der Bauleitung an die Bauherrschaft erstellt, eine zweite vor Ablauf der Garantiefrist (Rügefrist), der so genannten Schlussabnahme. Verfasserin der Listen ist in der Regel die Bauleitung, wobei sie auf Vorarbeiten der Bauherrschaft zurückgreifen kann. De facto ist es somit eine Gemeinschaftsarbeit von Bauleitung und Bauherrschaft.

Die Leitung der Garantiearbeiten liegt gemäss der SIA-Honorarordnung 102 beim Architekten, und er ist auch verantwortlich, dass die zweijährige Rügefrist eingehalten wird. Als zusätzliche Sicherheit kann es sinnvoll sein, dass sich die Bauherrschaft die Liste mit den Ablaufdaten der Garantiefristen der Werke geben lässt.

Zur Erinnerung sei nochmals erwähnt, dass während der Garantiefrist Mängel nicht mehr gerügt werden können, die der Bauleitung (oder der Bauherrschaft) bei der Abnahme bekannt gewesen, aber nicht gerügt worden sind.

Garantieschein

Für industrielle Serienprodukte wie etwa einen Staubsauger erhält man in der Regel eine Fabrikgarantie. In der Bauwirtschaft haben sich andere Usanzen entwickelt. Es wird verlangt, dass der Unternehmer für seine Haftung während der Garantiefrist eine Sicherheit zu leisten hat (Art. 181 SIA 118). Der Normalfall der Sicherheitsleistung ist die Solidarbürgschaft einer Bank oder Versicherung. Dadurch erhält die Bauherrschaft die Gewissheit, dass für Mängel auch dann gehaftet wird, wenn der Unternehmer Konkurs geht oder stirbt. Der Haftungsbetrag beläuft sich normalerweise auf 10% der Abrechnungssumme. Die Garantiescheine werden meistens bis zum Erlöschen vom Architekten verwaltet.

Die Dauer der Sicherheitsleistung beträgt heute oft 5 Jahre, also bis zum Ablauf der Verjährungsfrist der Mängelrechte. Noch vor wenigen Jahren hat sie meistens nur 2 Jahre betragen. Gelegentlich ist dies aber zu wenig gewesen. Die Bauherrschaft kann Mängel nämlich bis zum Ablauf der Rügefrist melden, also 2 Jahre ab Abnahme. Wenn die Garantie genau zu diesem Zeitpunkt abläuft, kann dies fatal sein: Die Versicherung endet dann, wenn man sie braucht.

  • Bargarantie

Eine andere Art der Sicherheitsleistung neben der Solidarbürgschaft ist die Bargarantie (von z.B. 10% der Abrechnungssumme), die allerdings heute etwas antiquiert ist. Gemäss Art. 182 SIA 118 wird sie als Ausnahmefall betrachtet.

  • Rückbehalt des Werklohnes bei offenen Werkmängeln

Zu unterscheiden vom oben genannten Barrückbehalt nach Art. 182 SIA 118 ist der Rückbehalt des Bestellers bei noch nicht erledigten Mängeln. Nach Art. 82 OR hat der Besteller das Recht, die geschuldete Vergütung zurückbehalten, bis die Mängel vom Werkunternehmer erledigt sind (Gauch, Werkvertrag, Seite 859). In der Praxis sind oft bereits Akontozahlungen geleistet, so dass es nur noch um den noch nicht bezahlten Rest des Werklohnes geht. Dieses Recht auf Rückbehalt kann unter Umständen ein Druckmittel sein, um eine zügige Erledigung der noch ausstehenden Verbesserungen von Werkmängeln zu erwirken. – Dies steht, wie erwähnt, im Obligationenrecht, und nicht in der SIA-Norm 118.

Gesamtbetrachtung zum Garantiewesen

Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Mängelrechte und die Sicherheitsleistung eines Garantiegebers zwei völlig verschiedene Dinge sind. Die Mängelrechte stehen dem Bauherrn in jedem Fall zur Verfügung, sofern der Werkvertrag gemäss der «Handwerkernorm» SIA 118 abgeschlossen wird, unabhängig von einer allfälligen Sicherheitsleistung. In den weitaus meisten Fällen muss die Sicherheitsleistung auch gar nicht beansprucht werden. Die Mängel werden vom Werkunternehmer allein aufgrund der Mängelrechte des Bestellers behoben, ohne dass der Besteller mit dem Garantieschein wedeln muss. Während die Solidarbürgschaft auf einen bestimmten Betrag begrenzt ist (zum Beispiel auf 5 oder 10% der Werkvertragssumme), gibt es für die Höhe der Garantiearbeiten des Werkunternehmers keine obere Grenze. Die Kosten seiner Garantiearbeiten können unter Umständen deutlich mehr als die genannten 5% oder 10% der Werkvertragssumme ausmachen. Man kann sich sogar Fälle vorstellen, in denen die Kosten zur Behebung der Werkmängel höher sind als der Werklohn, den der Unternehmer erhält.

Nehmen wir an, ein Werkunternehmer liefert einen Bodenbelag ab, der während der Garantiefrist erhebliche Mängel aufweist. Eine Verbesserung gelingt nicht, der Belag muss entfernt und durch einen neuen ersetzt werden. Der Schaden für die Bodenbelagsfirma beträgt 5 000 Fr., mehr als das Doppelte des Werklohnes von 2 000 Fr. Aufgrund seiner Mängelrechte nach SIA 118 hat der Besteller Anrecht auf einen mängelfreien Bodenbelag, selbst wenn er mit grossen Kosten ein zweites Mal erstellt werden muss. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob er einen sogenannten Garantieschein (Solidarbürgschaft) hat oder nicht. Im Generalunternehmergeschäft beispielsweise sind Sicherheitsleistungen zwar häufig, aber nicht der Normalfall (Näheres siehe hier).

Die Sicherheitsleistung würde bei der Bodenbelagsfirma erst zum Einsatz kommen, wenn sie beispielsweise nach der Übergabe Konkurs gehen würde. Dann müsste der Solidarbürge haften, aber nur bis zum vereinbarten Betrag von angenommen 10% der Werkvertragssumme: Im Konkursfall bekäme also der Besteller lediglich 200 Fr.

Verdeckte Mängel

Für verdeckte Mängel geht die Mängelhaftung des Unternehmers nach Ablauf der Garantiefrist weiter (Art. 179 SIA 118). Derartige Mängel sind sofort zu rügen. Der Unternehmer haftet aber nicht für Mängel, welche die Bauherrschaft schon vor Ablauf der Garantiefrist hätte erkennen können. Es ist darum wichtig, dass die Schlussabnahme sorgfältig und fristgerecht durchgeführt wird.

Mängelrechte verjähren fünf Jahre nach der Abnahme des Werkes. Die Verjährungsfrist erhöht sich auf zehn Jahre, wenn der Unternehmer den Mangel absichtlich verschwiegen hat (Art. 180 SIA 118).