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Die SIA-Honorarordnung 102 als Regelwerk eines privaten Vereins

Ist eine Bauherrschaft verpflichtet, einen Architektenvertrag «nach SIA» abzuschliessen? Muss sie bei der Honorarermittlung nichts weiter tun, als das für die Leistung geschuldete Honorar aus einer Tabelle abzulesen? Überhaupt nicht. Die SIA-Honorarordnung 102 (Architekten) ist im Bauplanungsgewerbe zwar sehr weit verbreitet, aber es ist nur eine Richtlinie eines privaten Vereins, des Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Vereins (SIA). Ihre Anwendung ist demzufolge absolut freiwillig.

Rein rechtlich schwebt man keineswegs im luftleeren Raum, wenn man die SIA-Ordnung 102 nicht als Vertragsgrundlage anerkennen will. Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien sind auch ohne SIA-Ordnung umfassend geregelt, wenn auch weniger detailliert und für Laien vermutlich auch weniger verständlich. Die Rede ist vom Obligationenrecht (OR), der massgeblichen Rechtsgrundlage des Geschäftslebens in der Schweiz. Dieses Gesetz legt die Spielregeln fest, wie sich die Akteure der Wirtschaft zu verhalten haben.

Das Obligationenrecht kennt verschiedene Arten von Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien, beispielsweise den Auftrag oder den Werkvertrag. Das Vertragsverhältnis zwischen Bauherrschaft und Planer (Architekt) ist weitgehend als Auftrag einzustufen. Seit Jahrzehnten wird aber in der juristischen Fachwelt darüber gestritten, ob ein Architektenauftrag nicht auch Werkvertragselemente enthalte. Seit dem berühmten Bundesgerichtsentscheid BGE 109 II 463 ff. aus dem Jahre 1983 ist es beispielsweise vertretbar, reine Projektierungsverträge als Werkverträge zu betrachten. Derartige relativ selten vorkommende «Geist-Werkverträge» umfassen nur die Ausarbeitung eines Projektes und somit die Lieferung eines Satzes von Plänen, nicht aber die Bauleitung oder das ganze Kostenwesen. Als Nichtjuristen nehmen wir diesen akademischen Disput über die sogenannte Qualifikationsfrage nur am Rande zur Kenntnis und halten etwas vereinfacht fest, dass ein Architektenvertrag für das gesamte übliche Leistungsspektrum normalerweise den Regeln des einfachen Auftrags untersteht.

Das Vertragsverhältnis des einfachen Auftrags ist im Gesetz in lediglich 13 Paragraphen (Art. 393 bis 406 OR) geregelt. Die Formulierungen sind sehr allgemein gehalten, da das Gesetz für Aerzte, Finanzberater und Architekten gleichermassen zu gelten hat. Die Wortwahl stammt in den Grundzügen noch aus dem 19. Jahrhundert, was die Verständlichkeit für Laien nicht gerade erleichtert. Grundsätzlich ist ein Auftrag eine besonders vertrauensvolle Vertragsbeziehung. Namentlich beim Architekten ist ein ständiger Dialog zwischen Auftraggeber und Beauftragtem erforderlich. Unter anderem zeichnet sich gemäss OR (Art. 398 OR) ein Auftrag durch eine Treue- und Sorgfaltspflicht aus. Weiter legt das OR fest, dass ein Beauftragter für Pflichtverletzungen haftet und dass ihm der Auftraggeber den Auftrag jederzeit entziehen kann.

Aus rechtlichen Gründen spricht überhaupt nichts dagegen, einen Architektenvertrag «gemäss OR» abzuschliessen und die SIA-Ordnung 102 beiseite zu lassen. In der Praxis ergeben sich durch diesen Verzicht aber gewisse Schwierigkeiten. Zunächst ist ein durchschnittlicher Bauwilliger nicht so ohne weiteres in der Lage, einem Architekten genügend genau zu beschreiben, was er von ihm erwartet. Der Auftrag muss also zuerst einmal formuliert werden, wenigstens in den Grundzügen. Was alles soll die Leistung beinhalten? Wo liegen die Schnittstellen zu anderen Planungsaufträgen? Wer ist für die Leitung des Gesamten zuständig etc.? - Eine weitere Schwierigkeit betrifft die Frage der Honorierung. Gemäss Gesetz kann das Honorar nämlich beliebig vereinbart werden. Was heisst das aber in der Praxis? Nach welchen Kriterien soll es festgelegt werden?

Alle diese Fragen rufen nach einem Instrument, das die Verständigung unter den Vertragsparteien erleichtert: es besteht ein Bedürfnis nach «Allgemeinen Geschäftsbedingungen».

Die SIA-Honorarordnung 102: «Allgemeine Geschäftsbedingungen» des Architektenvertrags

Ein privater Verein, der SIA, hat sich dieser praktischen Probleme angenommen. Er hat Richtlinien herausgegeben, die die Geschäftsbeziehungen zwischen Auftraggebern und Planern vereinheitlichen sollen. Von überragender praktischer Bedeutung sind die SIA-Ordnungen 102, 103 und 108. Für uns am wichtigsten ist die SIA-Ordnung 102, welche die Leistungen und Honorare der Architekten regelt. Verwandte Ordnungen betreffen die Bauingenieure (103) sowie die Haustechnikplaner (108). Zusätzlich hat der SIA einen Formularvertrag ausgearbeitet.

In letzter Zeit erprobt der SIA ein neues Honorierungsmodell, das sogenannte Leistungsmodell 95. Dieses soll die altvertrauten SIA-Honorarordnungen 102 ff. ergänzen, nicht aber ablösen. Es richtet sich primär an professionelle Bauherrschaften.

Im Sprachgebrauch der Juristen werden private Regelwerke wie die SIA-Honorarordnungen als «Allgemeine Geschäftsbedingungen» bezeichnet. In den meisten Branchen (Informatik, Finanzwesen etc.) gibt es derartige Vereinbarungen. Das Bauplanungsgewerbe ist also keineswegs ein Einzelfall.

Die SIA-Honorarordnungen 102 ff. gibt es schon lange, und sie sind bereits mehrfach überarbeitet worden. Die letzte Revision datiert aus dem Jahre 1985. Sie ist in der Fachwelt teilweise kritisch aufgenommen worden. Einige grosse, professionelle Bauherrschaften (öffentliche Hand, Banken etc.) haben Ergänzungen dazu mit erheblichen Abänderungen herausgegeben und teilweise eigene Musterverträge entwickelt. Auch aus der Sicht der juristischen Praxis ist Kritik geübt worden. Prof. Gauch beispielsweise bemerkt, «dass die qualifizierten Fachleute, die sich mit der Revision befassten, zwar die Regeln der Baukunst, nicht aber jene der Vertragstechnik beherrschten» (Gauch, in: Gauch/Tercier, Architektenrecht, Seite 33).

Die Honorarordnungen haben natürlich keinerlei Rechtskraft. Die vorformulierten Bestimmungen erhalten erst Vertragsgeltung, wenn sie ausdrücklich in den Vertrag übernommen werden. Dabei kann jede Klausel abgeändert werden. Die individuell vereinbarten Vertragsklauseln haben Vorrang vor den entsprechenden Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Juristen sprechen vom «Vorrang der Individualabrede».

Der Inhalt der SIA-Honorarordnung 102 im Überblick

Im Zentrum der SIA-Honorarordnung 102 stehen die Beschreibung der üblichen Leistungen der Architekten in Form einer umfangreichen Tabelle sowie die Darstellung von Methoden der Honorarberechnung.

Die Planerhonorare können gemäss SIA-Ordnung 102 mit drei verschiedenen Verfahren bestimmt werden. Der Kostentarif ist die weitaus wichtigste Form der Honorarermittlung, weshalb wir ihm auch breiten Raum einräumen. Bei diesem klassischen Verfahren berechnet sich das Honorar (anhand einer komplexen Formel) aus den Baukosten. Der Kostentarif ist in letzter Zeit etwas in die Kritik gekommen, weil er das Kostensparen eher behindere statt fördere. Der kostenbewusste Architekt werde bestraft, indem durch Sparmassnahmen sein Honorar abnehme.

Ein anderes Verfahren, der Volumentarif, hat diesen Nachteil nicht. Hier ist das Honorar nur abhängig vom Bauvolumen, nicht jedoch von den Baukosten. Diese Berechnungsart ist von völlig untergeordneter Bedeutung, weshalb wir nicht näher darauf eingehen. - Ein drittes Verfahren schliesslich ist der Zeittarif, der nur in einigen Spezialfällen angewendet wird. Hier ist nur der effektive Zeitbedarf massgebend für die Höhe des Honorars.

Die SIA-Honorarordnung 102 beschränkt sich nicht auf Honorarfragen. Sie regelt allgemein die Art der Zusammenarbeit zwischen Bauherrschaft und Architekt. In einem separaten Abschnitt («Weitere Empfehlungen zum Architektenvertrag») gehen wir auf einige dieser juristischen Fragen näher ein (Haftung und Vollmacht des Architekten, Widerruf des Auftrags).