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Zur Genauigkeit des Kostenvoranschlags

Nach der Beschreibung der zwei Typen von Kostenvoranschlägen wollen wir uns jetzt mit dem Aspekt der Genauigkeit des Kostenvoranschlags befassen.

Aspekte der Kostenunsicherheit

Es ist eine Tatsache, dass die Kosten beim Bauen nie ganz genau budgetiert werden können. Unsicherheiten der Kostenprognose gibt es immer.

Bei der nachfolgenden Diskussion setzen wir voraus, dass ein genehmigter Kostenvoranschlag vorliegt. Wir gehen nun den wichtigsten Ursachen nach, die im Rahmen der Bauausführung bis zur Schlussabrechnung zu einem zusätzlichen finanziellen Mittelbedarf führen können.

  • Mehrkosten Typ 1: Marktpreise sind höher als Preise im Kostenvoranschlag (KV)

Im KV basieren die einzelnen Positionen auf Schätzpreisen oder Richtofferten, teilweise auch schon auf Marktofferten. Je näher man dem Baubeginn rückt, desto grösser ist der Anteil der Marktofferten. Näheres dazu siehe die Ausführungen zum Thema des Kostenvoranschlages zum Zeitpunkt des Baubeschlusses (revidierter Kostenvoranschlag). Bei noch nicht ausgeschriebenen KV-Positionen ist es stets möglich, dass die budgetierten Beträge nicht ausreichen, um sie im Markt zu beschaffen. Dieses Risiko ist ein Marktrisiko und kein Projektrisiko. Es wird daher nicht aus den offenen Reserven finanziert.

  • Mehrkosten Typ 2: Mängel und Ungenauigkeiten bei der Ausschreibung

Bei diesem Typ von Mehrkosten geht es um mangelhafte und ungenaue Leistungsverzeichnisse. Die Mehrkosten haben nichts mit dem Markt zu tun (wie die Mehrkosten Typ 1), sondern mit der Qualität der Leistungsverzeichnisse, welche von der Bauleitung erstellt werden. Mängel und Ungenauigkeiten bei Leistungsverzeichnissen können in mannigfaltiger Form auftreten. Beispiele dafür finden sich bei den Ausführungen über verdeckte Reserven (Ausmassreserven).

  • Mehrkosten Typ 3: Projektrisiken

Die Projektrisiken sind der Inbegriff des Unvorhergesehenen. Es gibt Projektrisiken aller Art: Auflagen aus der Baubewilligung, Risiken des Baugrundes und der Bausubstanz, Risiken des Wetters etc. Die Projektrisiken werden über das Budget «Unvorhergesehenes (offene Reserven)» finanziert. Näheres dazu siehe hier.

  • Mehrkosten Typ 4: Zusatzwünsche der Bauherrschaft

Es gibt kein Projekt, in dem im Verlauf der Bauausführung nicht Zusatzwünsche der Bauherrschaft auftauchen. Diese werden aber nicht über die offenen Reserven finanziert, sondern über zusätzlich bereitzustellende Mittel der Bauherrschaft. Die Bauherrschaft muss für sie also über ein (meist im Kostenvoranschlag nicht dargestelltes) Spezialkässeli verfügen. Näheres zur Bauherrenreserve siehe hier.

Übersicht der Gefässe der finanziellen Reserven

Nachdem wir uns im letzten Absatz über Mehrkosten aller Art unterhalten haben, die nach der Genehmigung des Kostenvoranschlags auftauchen können, behandeln wir nun die finanziellen Reservegefässe, mit denen sich die ungeplanten Kosten finanzieren lassen.

  • Reservegefäss A: Toleranzband des Kostenvoranschlags

Mit diesem wichtigen Reservegefäss werden die Prognoseunsicherheiten des Prozesses der Kostenermittlung aufgefangen. Darauf gehen wir hier näher ein.

  • Reservegefäss B: Unvorhergesehenes (offene Reserven)

Mit den offenen Reserven (Unvorhergesehenes) werden die Kostenauswirkungen der eigentlichen Projektrisiken bewirtschaftet. Es ist neben dem Toleranzband das zentrale Gefäss für finanzielle Reserven.

  • Reservegefäss C: Verdeckte Reserven (Ausmassreserven)

Mit den Ausmassreserven werden ebenfalls Prognoseunsicherheiten des Prozesses der Kostenermittlung aufgefangen. Die Grenzen zum Reservegefäss A (Toleranzband des Kostenvoranschlags) sind fliessend, denn mit beiden Gefässen werden ähnliche Risiken bewirtschaftet.

  • Reservegefäss D: Bauherrenreserve

Die Bauherrenreserve steht zur Verfügung für die Finanzierung von zusätzlich auftretenden Bauherrenwünschen. Sie ist meistens nicht im Kostenvoranschlag enthalten.

Nach diesem einleitenden Überblick über die Gefässe mit finanziellen Reserven betrachten wir diese jetzt genauer.

Reservegefäss A: Toleranzband des Kostenvoranschlags

Der Kostenvoranschlag im Bauwesen ist nach alter Tradition auf +/– 10% genau. Zu diesem Thema findet sich in der SIA-Honorarordnung 102 folgende Aussage (Art. 4.32 SIA 102): «Der Genauigkeitsgrad (mangels besonderer Ver-einbarung +/– 10%) ist im Kostenvoranschlag zu nennen». Es kann somit auch ein anderes Toleranzband vereinbart werden, beispielsweise +/– 5%. Die Forderung nach der Genauigkeitsangabe gilt sowohl für den Kostenvoranschlag nach Elementen wie nach Arbeitsgattungen.

Die Angabe einer Toleranz beim Kostenvoranschlag ist berechtigt, denn die effektiven Kosten der Bauausführung können zum Zeitpunkt der Bauplanung nie genau vorausgesagt werden. Wie am Anfang dieses Abschnitts bereits bemerkt, deckt die Toleranzangabe die Unsicherheiten bezüglich des Prozesses der Kostenermittlung ab. Unsicher sind insbesondere die angenommenen Preise, weil Marktpreise definitionsgemäss nicht genau prognostizierbar sind und sich im Markt bilden müssen. Gewisse Unsicherheiten liegen auch bei den Mengen, die der Kostenermittlung zugrunde liegen. Die Mengen, die beim Kostenvoranschlag verwendet werden, sind unter Umständen weniger genau als die meist sehr präzisen Vorausmasse später in den Leistungsverzeichnissen. Zudem können die Leistungsverzeichnisse Mängel enthalten. Es kommt immer wieder vor, dass die Bauleitung an einzelne kleinere Positionen bei der Ausschreibung nicht denkt, was man ihr auch nicht verargen kann. Die Summe des Kostenvoranschlags darf daher von der Bauherrschaft nicht als Kostenlimite betrachtet werden, die keinesfalls überschritten wird. Sie muss immer damit rechnen, dass die Abrechnungssumme vom KV-Betrag um die angegebene Toleranz abweichen kann.

  • Kostenvoranschlag ohne Toleranzangabe

Dazu gibt es allerdings eine Ausnahme: Beim Verzicht auf die Angabe einer Toleranz im Kostenvoranschlag gilt seit einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2005 buchstäblich eine Nulltoleranzpolitik. Bei dieser Voraussetzung entspricht der Kostenvoranschlag nämlich der Kostenlimite, die eingehalten werden muss. Der Architekt als Gesamtleiter kann sich nicht auf den oben angegebenen Artikel 4.32 SIA 102 berufen, dass der Genauigkeitsgrad «mangels besonderer Vereinbarung +/– 10%» betrage (Quelle: TEC 21; Ausgabe 35 / 2006; Seite 31 f.; Artikel «Kostenprognosen»; Autor: Urs Hess-Odoni).

Reservegefäss B: Unvorhergesehenes (offene Reserven)

Im Zusammenhang mit der Angabe der Genauigkeit (Toleranzgrenze) stellt sich grundsätzlich die Frage, ob zusätzlich noch ein Posten für «Unvorhergesehenes» im Kostenvoranschlag aufgeführt werden darf. Gemäss der SIA-Honorarordnung 102 trifft dies eindeutig zu (Art. 4.32 SIA 102): «Beträge für Unvorhergesehenes sind separat auszuweisen». Die beiden Arten von Unsicherheit sind somit kumulierbar.

Die Position «Unvorhergesehenes» ist ein sehr wichtiges Reservegefäss. Während mit der Toleranzangabe die Unsicherheiten der Kostenermittlung abgedeckt werden, geht es beim Unvorhergesehenen um die Projektrisiken. Mir persönlich gefällt der Begriff des «Unvorhergesehenen» nicht so gut. Er vermittelt zu stark den Eindruck, dass man von den Risiken völlig überrascht wird wie von einem Tsunami und nicht im Traum daran gedacht hat, dass sie eintreten könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Nur bei einem Teil der Risiken ist man ahnungslos. Ich denke hier etwa an das Wetter, das den geplanten Bauprozess unter Umständen stark beeinträchtigen kann, allenfalls aber auch überhaupt nicht. Viele Risiken jedoch, und insbesondere die grossen, treten nicht unerwartet auf. Bei einem Umbau- und Sanierungsprojekt beispielsweise ist es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass es irgendwo Überraschungen gibt bei der vorhandenen Bausubstanz. Man weiss zwar nicht wo, aber dass es sie gibt, dass weiss man aus reicher Erfahrung. Ähnliches gilt bei Risiken des Baugrundes. Wenn man im Vorfeld des Bauens die elementaren Sicherheitsvorkehrungen trifft, weiss man ungefähr, womit man zu rechnen hat. Sondierungen und ein geologisches Gutachten geben Aufschluss darüber, ob man pfählen muss. Vielleicht ist der genaue Umfang des Pfählens noch offen (Anzahl und Länge der Pfähle), aber die Tatsache, dass man pfählen muss, ist klar. Es ist auch klar, ob man Aufwendungen für die Wasserhaltung haben wird oder nicht. Der genaue Umfang jedoch kann durchaus noch offen sein. Diese Unsicherheit ist das Projektrisiko.

In der folgenden Liste sind einige Projektrisiken aufgeführt, die aus dem Reservegefäss B «Unvorhergesehenes (offene Reserven)» gespiesen werden.

Beispiele von Projektrisiken

— Aspekt a: Auflagen aus der Baubewilligung
Auflagen aus der Baubewilligung können in finanzieller Hinsicht einschneidend sein.
Beispiele: Brandschutz; Versickerung Meteorwasser

— Aspekt b: Baugrund
Die Risiken des Baugrundes gehören zu den klassischen Projektrisiken.
Beispiele: Auswechslung von mangelhaftem (zu wenig tragfähigem) Material; Baugrubensicherungen; Pfählungen; Unterfangungen; Wasserhaltung; Altlasten; Felsabbau etc.

— Aspekt c: Qualität der vorhandenen Bausubstanz
Es geht hier darum, dass man bei Umbauten und Sanierungen die Bausubstanz im Verlauf der Bauausführung nicht so antrifft, wie man im Vorfeld (Bauprojekt, Baubeschrieb) angenommen hat.
Beispiele: Zusätzliche Baumeisterarbeiten im Untergeschoss (Näheres siehe hier); Mehraufwand (zusätzliche Ausgleichsschüttung) bei der Sanierung von Zwischendecken in Holzkonstruktion (Näheres siehe hier). Das Risiko der Qualität der vorhandenen Bausubstanz gehört bei Umbauten und Sanierungen zu den klassischen Projektrisiken und erfordert in der Regel erhebliche Reserven.

— Aspekt d: Umgebung
Bei der Umgebung trifft der Fall häufig ein, dass Risiken zu Mehrkosten führen. Siehe dazu die Ausführungen zur Umgebung.

— Aspekt e: Erschliessung
Beispiel: Bestehende Werkleitungen (z.B. Kanalisation) liegen nicht dort, wo man sie erwartet hat.

— Aspekt f: Wetter
Beispiele: Bauunterbruch wegen Frost; Winterbaumassnahmen

— Aspekt g: Rechtsaufwendungen
Beispiele: Streitfälle mit Behörden und Nachbarn

— Aspekt h: Verzögerungen durch Dritte
Beispiel: Verzögerungen durch nicht erteilte Baubewilligung

— Aspekt i: Verzögerungen beim Bauprozess
Beispiel: Die geplante Bauzeit kann nicht eingehalten werden (der Baumeister braucht z.B. für die Rohbauarbeiten mehr Zeit, als er ursprünglich angenommen hat).

— Aspekt k: Diebstahl, Vandalismus, Unfall auf Baustelle, Wasserschaden, Brandschaden.

In unseren beiden Beispielen von Kostenvoranschlägen ist ein Betrag für Unvorhergesehenes enthalten. Allerdings findet man nicht den Begriff «Unvorhergesehenes», da dieser aus der SIA-Honorarordnung 102 stammt (Art. 4.32 SIA 102) und bei Kostenvoranschlägen oft nicht verwendet wird. Hier ist der übliche Begriff «Reserven». Beim Kostenvoranschlag nach Arbeitsgattungen sind die Reserven unter dem Begriff «Projektrisiken» in BKP 6 «Rückstellungen und Reserven» verbucht, beim KV nach der Elementmethode unter Y1 «Reserve».

  • Umfang «Unvorhergesehenes (offene Reserven)»

Bei normal risikobehafteten Projekten bewegen sich die offenen Reserven in einem Band von vielleicht 3–5% des Kostenvoranschlags. Bei riskanteren Projekten (Umbauten und Sanierungen; schwierige Baugrundverhältnisse) können sie aber unter Umständen auf 10% ansteigen.

Zum Abschätzen des benötigten Umgangs der offenen Reserven kann es hilfreich sein, eine einfache Kalkulation anzustellen. Sie besteht aus einer projektspezifischen Liste von Projektrisiken, in der den einzelnen Risikopositionen Budgetbeträge zugeordnet werden.

Wir betrachten dazu ein Beispiel. Beim Bauvorhaben geht es um die Sanierung eines alten Gebäudes. Ein kleiner Teil soll abgebrochen werden, um Platz für einen etwas grösseren Anbau zu schaffen. Dieser Anbau kommt auf gewachsenem Fels zu stehen. Zudem wird ein niedriges Nebengebäude erstellt, das eine vorgängige Pfählung erfordert. Sein unterstes Geschoss liegt unter dem Grundwasserspiegel. Die Baugrundverhältnisse sind somit als heikel einzustufen. Der Kostenvoranschlag beträgt 10 Mio. Fr. exklusive Unvorhergesehenes (offene Reserven).

Anhand der nachstehenden Liste wird dargelegt, wie das ungefähre Ausmass des Unvorhergesehenen (offene Reserven) ermittelt werden kann. Die grössten Risikopositionen im Beispiel betreffen den Baugrund mit 100 000 Fr. und die Sanierung der bestehenden Bausubstanz mit 350 000 Fr. budgetierten offenen Reserven. Je 50 000 Fr. Reserven werden budgetiert für Umgebung, Aspekte der Denkmalpflege sowie Auflagen aus der Baubewilligung. Zusätzliche 100 000 Fr. Reserven stehen zur Verfügung für bisher noch nicht erkannte Risiken. Gesamthaft ergibt sich somit eine Summe von 700 000 Fr. für die offenen Reserven. Der Kostenvoranschlag wird daher um 7% erhöht auf 10.7 Mio. Fr. einschliesslich Reserven. Die Kalkulation zu den offenen Reserven ist aber nur als Plausibilitätsbetrachtung zu verstehen. Da mit den Reserven das Unvorhergesehene abgedeckt wird, sind präzise Aussagen definitionsgemäss nicht möglich.

Beispiel eines Sanierungsprojekts mit Anbau und Nebengebäude
Budgetbeträge für Unvorhergesehenes (offene Reserven)

  • Sind Reserven massgebend für die Ermittlung des Honorars?

Gelegentlich stellt sich die Frage, ob die KV-Position «Unvorhergesehenes (offene Reserven)» massgebend ist für die Ermittlung des Honorars oder nicht. Darauf werden wir später im Kapitel über das Honorarwesen näher eingehen, und zwar unter dem Aspekt der aufwandbestimmenden Baukosten. Diese Frage wird in der Praxis unterschiedlich gehandhabt: Mal sind die Reserven in der Summe der aufwandbestimmenden Baukosten enthalten, mal werden sie herausgenommen.

Meiner Ansicht nach sollte man grössere Reserven aus den aufwandbestimmenden Kosten herausnehmen. Sie sind also nicht a priori massgebend für die Ermittlung des Honorars. Erst wenn die Risiken eintreffen, löst die Bauherrschaft Zusatzbestellungen aus (zum Beispiel für zusätzliche Baugrundmassnahmen), und diese Mehrbestellungen rechtfertigen selbstverständlich ein zusätzliches Honorar.

Von honorarberechtigten Mehrbestellungen aufgrund von Projektrisiken zu unterscheiden sind Mehrkosten, die aus Mängeln bei der Ausschreibung resultieren. Auf der folgenden Seite betrachten wir ein Beispiel, bei dem bei Gipserarbeiten die Schlussabrechnung mehr als doppelt so hoch ist wie der Werkvertrag (Liste «Beispiele von Mängeln und Ungenauigkeiten in Leistungsverzeichnissen»; siehe Beispiel a). Diese Mehrkosten entsprechen nicht einer Mehrbestellung aufgrund eines Projektrisikos (sondern aufgrund eines mangelhaften Leistungsverzeichnisses) und sollten daher aus meiner Sicht nicht zu einem zusätzlichen Honorar führen.

  • Teuerung

Im weiteren Sinne unvorhersehbar ist ebenfalls die Bauteuerung. Sie zählt allerdings nicht zum Unvorhergesehenen, sondern wird in eigenständigen Positionen des Kostenvoranschlags berücksichtigt.