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Was Bauherrschaften über Werkverträge wissen sollten (SIA-Norm 118)

In der Praxis ist in den meisten Fällen die «Handwerkernorm» SIA 118 die massgebliche Grundlage für Werkverträge. Wir gehen in diesem Abschnitt näher auf diese im Bauwesen zentrale Norm ein und machen uns dadurch mit den wichtigsten Aspekten des Werkvertragsrechtes in der Bauwirtschaft vertraut. Allerdings greife ich nur jene Punkte heraus, die aus meiner subjektiven Sicht für Bauherrschaften speziell wichtig sind. Einzelne Gebiete, die in der SIA-Norm 118 teilweise breiten Raum einnehmen (z. B. Teuerungsabrechnung), lasse ich weg. Diese Schrift ist kein Rechtshandbuch. Für eine systematische Darstellung des Werkvertragsrechtes verweise ich auf folgende Fachliteratur (Detailangaben zu den Werken siehe «Literaturverzeichnis»):

Reber, Rechtshandbuch (geschrieben für Baupraktiker)
Gauch, Werkvertrag , 4. Auflage 1996 (Standardwerk für Juristen)

Erinnern wir uns daran, dass die Bestimmungen der SIA-Norm 118 keine Gesetzeskraft haben, sondern als unverbindliche «Allgemeine Vertragsbedingungen» zu betrachten sind, herausgegeben von einem privaten Verein (SIA). Bauorgane öffentlicher Bauherrschaften (auch des Bundes) haben bei der Ausarbeitung der Norm zwar mitgemacht, aber ausdrücklich davon Abstand genommen, als (Mit-)Herausgeber aufzutreten.

Die Parteien können die Norm gesamthaft oder in Teilen in den individuellen Werkvertrag übernehmen. Jede Klausel kann gestrichen oder abgeändert werden. Davon sollte auch Gebrauch gemacht werden. Es liegt primär am Architekten, die Bauherrschaft diesbezüglich zu beraten. Es ist eine seiner wichtigsten Aufgaben, für seinen meist nicht sachkundigen Auftraggeber möglichst vorteilhafte Vertragskonditionen zu erreichen. Eine vergleichbare Beratung kann auch von einem kompetenten Bauherrenberater erwartet werden.

A. Abschluss des Werkvertrages

Am Anfang der SIA-Norm 118 (Artikel 3 bis 22) wird dargelegt, wie ein Werkvertrag normalerweise entsteht. Es liegt auf der Hand, dass ein Bauwerkvertrag wesentlich schwieriger abzuschliessen ist als beispielsweise ein Werkvertrag mit einem Coiffeur. Bauleistungen sind vielfach komplex und bestehen aus einer grossen Anzahl Einzelleistungen, für die zudem meist keine festen Preislisten existieren. Die Preise müssen kalkuliert (berechnet) werden. In der Umgangssprache des Baugewerbes sagt man darum, ein Unternehmer «rechne», wenn er ein Angebot ausarbeitet.

Werkverträge werden im Bauwesen nach einem traditionellen, mehrstufigen Verfahren abgeschlossen, das sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat. Man bezeichnet es auch als Submission, wobei dieser Ausdruck speziell bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand verbreitet ist. Wir unterteilen das Verfahren in drei Schritte:

 

  • Schritt 1: Ausschreibungsunterlagen erstellen

Zuerst erstellt die Bauleitung für das Werk, das bestellt werden soll, die Ausschreibungsunterlagen. Ein Werk entspricht häufig einer Arbeitsgattung (Gipserarbeiten, Storen etc.). Mit den Ausschreibungsunterlagen wird möglichst genau und umfassend beschrieben, welche Leistung vom Unternehmer erwartet wird und an welche Bedingungen (Normen etc.) er sich zu halten hat. Zu den Ausschreibungsunterlagen gehören die vorgesehene Vertragsurkunde, meistens ein Leistungsverzeichnis sowie allenfalls diverse weitere Bestandteile (vgl. Art. 7 SIA 118). Ein Leistungsverzeichnis (umgangssprachlich als Devis bezeichnet) ist eine detaillierte Liste mit den auszuführenden Einzelarbeiten.

 

  • Schritt 2: Angebote einholen

Anhand der Ausschreibungsunterlagen arbeiten in der Regel mehrere Unternehmer für ein konkretes Werk je ein Angebot aus. Bei privaten Bauvorhaben werden die Unternehmer, die «rechnen» dürfen, nach freiem Ermessen von Bauherrschaft und Bauleitung ausgewählt. Die aufwendige Kalkulationstätigkeit der Unternehmer wird dadurch etwas erleichtert, dass sie im vorbereiteten Leistungsverzeichnis für die ausgeschriebenen Positionen nur die sogenannten Einheitspreise einsetzen müssen. Die eingereichten Angebote werden anschliessend von der Bauleitung geprüft und allenfalls bereinigt. Meistens versucht sie zudem, mit zusätzlichen Rabatten die finanziellen Konditionen zu verbessern.

 

  • Schritt 3: Bauarbeiten vergeben

Mit den geprüften und bereinigten Angeboten verfügt die Bauherrschaft über die nötigen Entscheidungsgrundlagen, um eines der Angebote auszuwählen. Es ist aber auch möglich, dass die Bauherrschaft die Vertragsverhandlungen weiterführt und der ersten Verhandlungsrunde der Bauleitung eine zweite anhängt. Mit der Vergebung der Bauarbeit an den ausgewählten (oft preisgünstigsten) Unternehmer wird der Werkvertrag rechtsverbindlich abgeschlossen. Die Vergebung kann mündlich erfolgen, oft wird sie mit einer Annahmeerklärung schriftlich bestätigt. Was jetzt noch fehlt, ist die eigentliche Vertragsurkunde. Da der Vertrag mit der Vergebung juristisch perfekt ist, kann das Erstellen der Vertragsurkunde als (beweissichernde) Formalität betrachtet werden, die nicht mehr zeitkritisch ist.

 

Das Abschliessen der Werkverträge ist für die Bauherrschaft ein ausgesprochen wichtiger Vorgang, der viele Möglichkeiten bietet, die Kosten günstig zu beeinflussen. An anderer Stelle gehen wir im Detail darauf ein (siehe Abschnitt «Bauarbeiten ausschreiben» sowie Abschnitt «Bauarbeiten vergeben»).

B. Vollmacht der Bauleitung

Die Vollmacht des Architekten und speziell der Bauleitung haben wir bereits ausführlich bei der Besprechung des Architektenvertrages erörtert (siehe Abschnitt «Weitere Empfehlungen zum Architektenvertrag» im Kapitel 8). Im Werkvertrag geht es nur darum, dem Unternehmer kundzugeben, was im Architektenvertrag hinsichtlich der Stellvertretungsbefugnisse vereinbart worden ist.

Zur allgemeinen Verwunderung stellt man fest, dass die Normbestimmungen zur Vollmacht in der «Handwerkernorm» SIA 118 wesentlich von den Vereinbarungen in der SIA-Ordnung 102 abweichen. Im Artikel 33.2 SIA 118 wird an den Unternehmer nämlich folgende Vollmacht kundgetan: «Soweit der Werkvertrag in der Vertragsurkunde nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, vertritt die Bauleitung den Bauherrn gegenüber dem Unternehmer; alle Willensäusserungen der Bauleitung, die das Werk betreffen, sind für den Bauherrn rechtsverbindlich, insbesondere Weisungen, Bestellungen, Bestätigungen und Planlieferungen (...).» Einzelne Juristen betrachten diese sehr weit gefasste Vollmacht in der «Handwerkernorm» SIA 118 fast als Generalvollmacht (Schwager, in: Gauch, Architektenrecht; Seite 227).

Es ist problematisch, diesen offensichtlichen Widerspruch einfach stehen zu lassen, auch wenn es relativ selten Streitigkeiten zur Vollmacht der Bauleitung gibt. Präzisierende Vereinbarungen sind speziell bei jenen Rechtshandlungen angezeigt, wo in der SIA-Norm 118 die Stellvertretungsbefugnisse der Bauleitung zu weit gehen. Meines Erachtens trifft dies vor allem bei folgenden Punkten zu, auf die wir im weiteren Verlauf dieses Abschnittes eingehen: Regierapporte (siehe «Vergütung nach Aufwand»), Bestellungsänderungen (siehe Absatz «Bestellungsänderungen»), Schlussabrechnung (siehe «Schlussabrechnung») sowie Abnahmen (siehe Absatz «Abnahme des Werkes»). Falls bereits im Architektenvertrag Präzisierungen zur Vollmacht festgehalten worden sind, können diese unverändert in den Werkvertrag übernommen werden.